Die Hälfte der Macht den Speakerinnen
Der Blog 50prozent zählte zuletzt bei 261 Veranstaltungen einen Frauen*anteil von 26,83 Prozent. Es handelt sich um ein Projekt der Plattform Speakerinnen.org – die wichtigste Datenbank im deutschsprachigen Raum für ExpertInnen aus den verschiedensten Fachgebieten. EventveranstalterInnen haben dort die Möglichkeit, kostenfrei nach RednerInnen, ReferentInnen & ModeratorInnen zu suchen.
Ein Blick auf den Twitterkanal @haelfte verrät, es finden auch im Jahr 2016 Panels und Konferenzen mit einer 100% Männerquote statt. Wer da noch nach einer Rechtfertigung fragt, erntet eher ein Kopfschütteln. Die SkeptikerInnen bilden aber die Minderheit, es gibt einen großen UnterstützerInnenkreis und mittlerweile zählt die Plattform 1000 registrierte SprecherInnen. Am 8. März feiert Speakerinnen.org ihren zweiten Geburtstag im taz Café. newthinking traf Maren Heltsche, Mitgründerin der Plattform, zum Gespräch.
Das Team hinter der Speakerinnen-Liste und der 50-Prozent-Datenbank besteht neben Maren aus Anne Roth, Christiane Weihe, Mandy Schossig und Tyranja. Maren erzählt, „wir sind fünf Leute, die ehrenamtlich arbeiten und unsere ganze Energie in dieses Projekt stecken. Derzeit versuchen wir die Seite so gut wie möglich in Stand zu halten, auszubauen und eine möglichst diverse Auswahl von Speakerinnen zu versammeln.“ Dem Team geht es um die Sichtbarkeit von Frauen*. Das kann auf Konferenzbühnen, Talkshows oder in journalistischen Beiträgen sein. Ziel der Speakerinnen ist es, so viele Frauen* wie möglich zu listen mit allen Themen, zu den Frauen* etwas zu sagen haben – auch international.
Die Plattform ist nach Aussage von Maren in erster Linie durch persönliche Netzwerke und Word of Mouth gewachsen: „Am Anfang war es natürlich so, dass sich vor allem Freundinnen und deren Freundinnen auf Speakerinnen.org angemeldet haben. Es waren viele Leute aus dem Bereich Netzfeminisimus, Politik, Social Media und Marketing vertreten. Wir versuchen aber Schritt für Schritt Leute aus anderen Bereichen gezielt anzusprechen und nutzen unsere bestehenden Netzwerke und Verbände. Bei People of color (PoC) und queeren Leuten gehen wir ähnlich vor.“
Auch wenn auf Speakerinnen.org die Themenvielfalt stetig steigt, gibt es in vielen Themengebieten immer noch Bedarf. „VeranstalterInnen wenden sich dann an die Plattform“, berichtet Maren. „So kam beispielsweise letztens eine Anfrage nach weiblichen CTO-Personen aus Deutschland. Auch im Bereich Kryptographie, Datenschutz, IT und Naturwissenschaften könnten wir noch mehr Sprecherinnen anwerben, ebenso betrifft das sehr spezielle Themengebiete wie Big Data.“
Empowerment durch Einzelgespräche
Das Team von Speakerinnen.org leistet im deutschsprachigen Raum Pionierarbeit, die weit über das zur Verfügung stellen der notwendigen Ressourcen für SprecherInnen und VeranstalterInnen hinausgeht. In Einzelgesprächen ermutigt Maren ihr Netzwerk: „Wenn die Themen beispielsweise im Call for Papers schwammig formuliert sind, stellen sich viele Frauen* die Frage, was sie zur Konferenz beisteuern können, obwohl einige zum Teil schon seit 10 Jahren in ihren Berufen arbeiten. Ich mache sie dann auf ihre spannenden Themen aufmerksam und ermutige sie. Manche Frauen* müssen erst mal davon überzeugt werden, dass sie etwas interessantes zu erzählen haben.“
“Niemand oder fast niemand ist dazu geboren auf einer Bühne zustehen. Ich kenne ganz wenige Leute, die richtige Rampensäue sind.”
Über ihre eigene Erfahrung als Sprecherin berichtet Maren, dass sie zwar oft Talks hält, aber immer noch davor nervös ist. Vor einer Gruppe von fremden Menschen zu sprechen, ist eine unangenehme Erfahrung. Maren erzählt, „dabei ist es wichtig zu wissen, dass es den meisten Leuten so geht. Viele Frauen, die ich kenne sagen: Ich hasse es vor einer Gruppe von Menschen zu stehen und zu reden oder so zu tun als würde ich mich jetzt gerade so gut damit auskennen.“ Maren hielt über genau jenes Phänomen im November auf der Codemotion Berlin einen Talk, das besonders Frauen* betrifft – das Impostor Syndrom.
Was können KonferenzveranstaltInnen leisten, um mehr Sprecherinnen zu erreichen?
SprecherInnen alleine in einer Datenbank zu sammeln, reicht natürlich nicht. Auch als KonferenzveranstalterIn kann man einige Anreize schaffen, Events so zugänglich wie möglich für die größte Anzahl an unterrepräsentierten Gruppen zu gestalten. Maren gibt hilfreiche Ansatzpunkte: „Viele Konferenzen sind darauf ausgelegt, große Namen oder möglichst hoch positionierte Menschen sprechen zu lassen. Da beißt sich die Katze in den Schwanz. In den Führungspositionen sind halt mehr Männer und dann kriegt man in dem Bereich auch weniger Frauen und dann stimmt es wieder nicht mit dem Verhältnis. Hilfreich kann bereits ein Call for Papers sein. Das ist ein vorurteilsfreies Einfallstor. Zudem kann man bewusst Frauen* oder Frauen*netzwerke wie die Digital Media Women oder uns ansprechen. Workshops sind hilfreich, die ErsteinreicherInnen erklären, wie man in einen Call for Papers einreicht. Interessant finde ich noch das Double Blind Review-Verfahren. Das heißt, du siehst nicht, wer das Abstract eingereicht hat. Zwei Leute reviewen das Paper unabhängig voneinander und wissen auch nicht, wer der andere ist. Man beachtet wirklich nur den Inhalt unabhängig davon, wer einreicht hat und welche Position die Person einnimmt oder wer der andere Reviewer ist. Ein weiterer Weg besteht darin, Anreize zu schaffen, indem z.B. die Reisekosten übernommen werden. Das ist ein großer Batzen Geld für viele.“
Weitere hilfreiche Vorschläge wurden von Nora-Vanessa Wohlert in dem Artikel „Wie man mehr weibliche Speaker gewinnt“ zusammengestellt, erschienen bei Edition F.
Die Öffentlichkeitswirksamkeit von Konferenzen
Unsere Geschäftsführerin Julia Ismiroglou saß erst neulich auf einem Panel, das die Frage diskutierte, „Brauchen wir noch große Messen imZeitalter der Digitalisierung?“. „Na klar“, meinte Julia, „Messen, Konferenzen und andere Eventformate sind auch für Frauen* eine großartige Chance, ihre Arbeit, Best Practices und ihr Wissen zu teilen. Dazu braucht es aber auch mehr KonferenzveranstalterInnen, die sich diesem Thema annehmen und ihren Mitarbeitern die Ressourcen für die zum Teil aufwändige Recherche zur Verfügung stellen.” Maren ergänzt, „Ich glaube, dass man stärker in den Vordergrund stellen sollte, was es bringt, auf einer Konferenz zu sprechen. Vielleicht ist es Männern klarer, welche Öffentlichkeitswirksamkeit so eine Konferenz haben kann.“ So können sich wichtige Arbeitskontakte, neue Projekte oder Kunden durch nur einem gehaltenen Talk ergeben. „Es hat immer eine Außenwirkung, wenn auch nur eine kleine“, so Maren. Konferenzen kann man für seine eigene Positionierung nutzen.
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Die Plattform Speakerinnen.org ist ein Open Source Projekt. Unterstützung kann man leisten, indem man Code beisteuert, Texte in Deutsch und Englisch übersetzt oder Geld spendet.
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Erfahre mehr über die Projekte von Maren Heltsche auf: Speakerinnen.org, 50prozent und Digital Media Women.
Das Sternchen* hinter Frauen haben wir von Speakerinnen.org für diesen Beitrag übernommen. Der Stern steht für alle, die sich als Frau definieren.